Wie alles begann…

B.J.
Netzwerker
28. Oktober 2015

…eine fast unglaubliche LiebesGeschichte

Frühjahr 2017

Ich nehme den roten Parfumflacon in die Hand und versprühe einen Hauch von Duft. Und sofort ist sie wieder da, die Erinnerung. Die Erinnerung an die erste Begegnung mit einer mir fremden Frau. Die Erinnerung an eine zufällige Begegnung bei Gosch im Hamburger Bahnhof. Die Erinnerung an eine sofortige und unmissverständliche Vertrautheit, wie sie mir nie zuvor bei einer ersten Begegnung passiert ist.

Schon die ersten Gesten, die ersten Worte, die erste Nase voll „Du“ vermitteln mir eine große Nähe, ein Urvertrauen. Unsere Körper und Seelen scheinen sich anzuziehen, Sie saugen einander auf wie ein ausgetrockneter Schwamm unter den Tropfen eines ergiebigen Sommerregen. Es ist Dezember und ungemütlich naßkalt in der Hansestadt …

Orba, Dezember 2014

Die vorweihnachtlichen Wochen sind warm, ungewöhnlich warm auch im sonnenverwöhnten Orba. Du nutzt jede Gelegenheit, die dir Christa läßt, um ein Sonnenbad am Pool zu nehmen. Deine Nächte sind sehr anstrengend in diesen Wochen. Christa läßt nur wenig Schlaf zu und verlangt viel Aufmerksamkeit. Tagsüber, wenn Christa in ihrem Sessel unter dem Sonnenschirm sitzt und irgendwie so süß aussieht mit ihrem Sonnenhut, denkst du an Weihnachten. Du freust sich auf Tante Nelly und ein paar ruhige Tage in Hamburg. Deine Familie meint es zur Zeit nicht gut mit dir. Dennoch hast du vor, wenigsten für einen Tag zu den Enkeln nach Geilenkirchen zu fahren. Vieles geht dir durch den Kopf, vieles ist noch zu erledigen. Die Scheidung dauerte nun schon über Jahre und immer noch kein Ende in Sicht. Immer neue Einwände und immer wieder Zeitschinden. Am zweiten Weihnachtstag wird du nach Alicante fahren und den Flieger nach Hamburg nehmen, am Samstag dann mit der S-Bahn in die City und etwas Weihnachtstrubel nachholen. Du liebst Weihnachtstrubel. Vielleicht hat ja der Weihnachtsmarkt am Rathausmarkt noch geöffnet.

Frankfurt, Dezember 2014

Mein neues Projekt in Frankfurt hat am 1. Dezember begonnen. Es fühlt sich noch alles sehr unwirklich an. Die neue Stadt, die neuen Kollegen, die neue Aufgabe. Dazu regnet es viel in diesen Wochen in Frankfurt und es ist eigentlich immer dunkel. Morgens, wenn ich das Hotel verlasse, ist es dunkel und abends, wenn ich zurück komme schon wieder. Ich vermisse den Hof, meine Tiere, denke viel an sie und hoffe, dass Martha mit allem zurecht kommt, wenn ich auf „Montage“ bin, wie ich nenne und sie bei mir zuhause einhütet. Vieles kommt zusammen in diesen Wochen. Ich bin seit längerer Zeit mit allem allein auf dem Hof nach der letztendlich doch plötzlichen Trennung. Überfallartig hat sie ihre Sachen gepackt und ist verschwunden. Ich habe mich schütteln müssen, wie ein begossener Pudel, war einige Tage sehr benommen. Aber ich will mich nicht verstecken, unterkriegen lassen und bin ziemlich schnell wieder zuversichtlich und bereit für neues, zumindest beruflich.

Weihnachtlich ist mir nicht zumute in diesen ersten Wochen in Frankfurt. Ich bin allein auf den Weihnachtsmarkt am Frankfurter Münsterplatz gegangen zwischen all die leutseeligen Grüppchen von Menschen. Es macht nicht wirklich Spaß. Eine echte Familie gibt es zur Zeit für mich nicht. Meine Tochter zieht es nicht zu mir, meine Stiefsöhne ohnehin nicht. So bereite ich mich auf eher triste Weihnachten am Hof vor. Am Samstag nach Weihnachten werde ich mir ein paar Stunden Großstadt geben und nach Hamburg fahren.

Hamburg, 27. Dezember 2014

Ich habe Durst und freue mich auf einen Cappuccino bei Gosch im Bahnhof, bevor ich zurück fahre nach Bremervörde. Gosch ist gut besucht, wie so oft. Kein freier Tisch. In der Ecke unter dem Fernseher sitzt an einem Dreiertisch jemand. Eine Frau, alleine wie es scheint. Alle anderen Tische sind mit zwei oder mehr Personen besetzt. Ich frag mal, ob ich mich dazu setzen kann, denke ich. Das mache ich nicht gern und auch nicht oft. Aber ohne Cappuccino will ich heute nicht in den Zug steigen.

Sie schaut auf. Ja gern, sagt sie und weist mit der Hand auf den freien Platz neben sich. Ein angenehmer Duft umgibt sie. Ihre Hände fallen mir sofort auf und ihre ungewöhnliche Bräune im Gesicht. Waren Sie in Urlaub? Wir kommen ins Gespräch. Worüber? Ich weiß es nicht mehr. Die Welt um uns herum scheint zu verschwimmen, sich aufzulösen. Wir sitzen nebeneinander, über Eck an einem schlichten Holztisch, lachen, scherzen und erzählen völlig unbefangen aus unseren Leben.

Ich schaue auf die Uhr. Jetzt wäre es an der Zeit aufzubrechen. Mein Zug geht in einigen Minuten. Aber ich kann unmöglich einfach aufstehen und zum Zug gehen. Jetzt. Einfach so. Als wäre da nichts. Da es Mittagszeit ist, frage ich sie, ob sie Lust hätte, mit mir zu einem Hamburger Traditionslokal ganz in der Nähe auf der Mönckebergstraße auf einen Imbiss zu gehen. Sie hat. Wir verlassen den Bahnhof, queren die vierspurige Straße und sind in der Fußgängerzone. Ich biete ihr meinen Arm an, sie hakt sich unter und so gehen wir – Ich aus Steinfeld und Du aus Orba – zuerst zum Fischessen zu Daniel Wischer, dann herüber in die Speicherstadt in die Kaffeemanufaktur, dann auf den Weihnachtsmarkt am Rathaus und schließlich im Portugieserviertel in der Nähe der Englandfähre in ein Restaurant …. ich glaube, wir grinsen beide bis an die Ohren. Immer und unablässig. Schon die Bedienung bei Wischer sieht uns an, lächelt wie eine Wissende, die Menschen in der Kaffeemanufaktur sehen uns an, wohlwollend und zustimmend, es ist unbeschreiblich. Wie kann es sein, dass zwei Menschen so unvermittelt aufeinandertreffen und sich so vertraut fühlen. Vor einer Minute wussten wir nichts voneinander, nicht einmal das es den anderen gibt. Jetzt berühre ich Dich sachte und zögerlich am Arm, erfasse deine Hand und drücke sie sanft an meine Lippen. Du läßt es geschehen. So vertraut, so unbeschreiblich vertraut. „Ich kann dich gut riechen“ ist ganz offenbar mehr als eine Redewendung.

Die Zeit verfliegt. Mein letzter Zug zurück nach Bremervörde geht gegen neun, deine S-Bahn nach Quickborn fährt alle halbe Stunde. Ich bringe dich zu deinem Gleis. Eine zarte, aber innige Umarmung, ein zarter Kuss, noch schnell eine Nase voll von deinem Duft, von dir. Dann muß ich laufen, um meinen Zug nicht zu verpassen.

Ich bin beschwingt, betrübt, benebelt, glücklich bis in die Fingerspitzen, weiß nicht wohin mit mir und meinen Gefühlen. Werde ich dich wiedersehen? Wann? Wo? Wie? So schnell wie es begann, ist es auch wieder vorbei. Komplett abrupt. Was bleibt ist dein Duft und eine Handynr. Es ist immer noch kalt und ungemütlich in Hamburg. Die Rückfahrt verläuft wie in Trance.

Steinfeld, 28. Dezember 2014

Am nächsten Tag wähle ich die Nummer, rufe dich an. Mein Herz pocht. Es klingelt. Oft, zu oft? Endlich meldest du dich. Dir geht es schlecht. Das Essen beim Portugieser. Oder die Aufregeung. Du hast die Fahrt zu deinen Enkeln für heute verschoben. Ich fasse mir ein Herz und biete dir an, dich abzuholen mit dem Auto. Du könntest dich bei mir am Hof ein paar Tage erholen und ich könnte dir meinen Hof zeigen. Nach kurzem Zögern kommt deine Antwort. „Ja“. Einfach nur Ja….

Recht und Gerechtigkeit…

Panne
Ehefrau in Scheidung
16. Juli 2016

… Bis das der Tod euch scheidet?

Vor fast vierzig Jahren war es schwer eine Liebe zu einem älteren Mann gegenüber meinen Eltern und allen anderen durchzusetzen. Aber ich habe es geschafft, viele Jahre hat unser Glück gehalten. Heute Jahrzehnte später, ist es fast noch schwerer dich loszuwerden, dich loszuwerden nach über 35 Jahren Ehe, dich loszuwerden nach ebenso vielen Jahren harter Arbeit, dich loszuwerden in Würde und Anerkennung der gegenseitigen Verdienste um unsere Ehe. Du warst nicht nur wesentlich älter, du bist auch noch sehr früh in Rente gegangen, wurdest abgefunden von deiner alten Firma, konntest deiner Leidenschaft als Kfz-Bastler nachgehen. Die Freunde und Nachbarn haben dich dafür geliebt. Manche wohl etwas zu viel. Ich habe gearbeitet für den Lebensunterhalt, für den Urlaub, für schöne Autos und für ein schönes Zuhause. Am Ende lagst du mit der Nachbarin im Bett und ich stand vor einem Scherbenhaufen.

Meine Flucht brachte mich nach Spanien, in das Land, in dem wir so viele gemeinsame Urlaube verbrachten, das Land, in dem wir vielleicht einmal im Alter leben wollten. Die Sonne erwärmte meine fierende Seele und gab mir Hoffnung für die Zukunft. Auch wenn du dich gegen mich entschieden hattest, war ich immer noch davon überzeugt, dass wir in Würde und gegenseitigem Respekt die Scheidung bewerkstelligen würden.

Vertraust du, verlierst du!

Im Vertrauen auf Deine Aufrichtigkeit in guten wie in schlechten Tagen, hatte ich dir freie Hand gelassen in Geldfragen, immer, dir immer vertraut. Ebenso wie dem Ehrenwort des Steuerberater, der unser Haus, unser Heim, für das ich mich so unendlich krumm gelegt hatte, aus steuerlichen Gründen auf dich einzutragen empfahl. Für mich war es trotzdem unser Haus. Genau so wie das Grundstück in Spanien, in das wir uns zuerst verliebt und das wir dann gekauft hatten. Ich verkaufte das Grundstück in unser beider Namen, erzielte sogar einen guten Preis und war immer noch so loyal dir gegenüber, dass es für mich selbstverständlich war, den Verkaufserlös für den Grundstückskredit herzugeben und den darüber hinaus verbleibenden Betrag für „Unser“ Haus an dich zu überweisen. Du hingegen hättest nicht besseres zu tun, als den Mehrbetrag für dich zu verwenden und dich als Hausbesitzer aufzuspielen. Du, der nicht mehr zum Unterhalt beisteuerte als seine Rente und seine Schwarzarbeiten. Damit nicht genug. Im Laufe der Ehescheidung zogst du plötzlich einen Darlehensvertrag aus der Tasche. Du behauptest im Ernst, mir persönlich aus deinem Geld 40.000 € gegeben zu haben. Von welchem Geld, von welchem Konto, auf welches Konto, zu welchen Zweck? Kein Bankbeleg, keine Rückzahlungen, keine Zinsforderungen, nicht einmal ein stimmiges Papier. Da passt es gut, dass du zuvor versuchtest nahe Familienmitglieder zur Fälschung meiner Unterschrift zu gewinnen.

Vertraust du, verlierst du.

Den Wert unseres Hauses kennst du genauso gut wie ich. Die Qualität der Einrichtung ebenfalls. Seit Jahres kannst du nun alles allein genießen. Deinen Anwalt lässt du unsere Wohnung mit all den gediegenen Einrichtungsgegenständen auf Sperrmüllniveau herunter rechnen, ohne zu zögern lässt du unser Haus dastehen wie ein herunter gewirtschaftetes Objekt am Rande des Ortes. Warum? Weil du nicht anerkennen willst, dass ich es war, die die Brötchen 35 Jahre lang angeschafft hat, die nötig waren dieses Haus zu bauen, weil du DEINE Altersversorgung nicht mit mit teilen willst, aber zugleich MEINE Altersversorgung ( Wohnung und Praxis) für dich allein reklamierst. Dein Anwalt ist sich nicht zu fein, eine Fristverlängerung nach der nächsten mit immer den gleichen vorgeschobenen Argumenten einzufordern, auf Zeit zu spielen, über Jahre die Sache zu verzögern. Bravo Herr Anwalt, Sie sind ihr Geld wert: monatlich 350€ mal 12 Monate x 9 Jahre macht schon ein nettes Sümmchen. Über 37.000 €. Bravo. In guten wie in schlechten Zeiten. Fair sieht anders aus. Gerecht auch.

Jetzt nach über 3350 Tagen, die vergangen sind, seit ich schmerzlich erkennen musste, das du dich offensichtlich in den Armen einer anderen mehr aufgehoben fühlst als bei mir, seit auch ich begriff, was alle anderen schon lange wussten, als meine Welt krachend zerbrach, jetzt wagst du es, mir von deinem feinen Herrn Anwalt ein Angebot unterbreiten zu lassen, das nichts als Hohn und Verachtung mir gegenüber zum Ausdruck bringt. Schämen solltest du dich, falls du dieses Wort überhaupt kennst und es jemals für dich angewandt hast. 70.000 € für 35 Jahre Arbeit. Das entspricht etwa 1 ( einem) Euro pro Stunde. Neun Jahre Trennung und Scheidungsverfahren bedeuten auch, unser Vermögen um mindestens 50.000 € vermehrt zu haben, Geld aus der Vermietung der Praxis, dass du nun für dich allein reklamierst. Formal mag das stimmen, gerecht ist es nicht. Recht und Gerechtigkeit sind eben nicht dasselbe.

Schön, dass du wenigsten im Kreise deiner Kumpel schon vor langem einen ausgegeben hast auf deine Scheidung, schön, dass dir der Mut fehlt, zum 40. Geburtstag deines Einzigen Sohnes zu erscheinen, weil Ich da sein könnte, schön dass du es schaffst, alle Fotos aus der Kindheit deines Sohnes zu vernichten, die Erinnerungen löscht du damit trotzdem nicht, die guten nicht und auch nicht die schlechten. Davon erschaffst du mit jedem Schreiben deines Anwalt immer noch neue.

Recht und Gerechtigkeit. Fragen an die Justiz: wie viele Jahre darf eine Scheidung dauern? Solang wie manche Ehe? wieviele Fristverlängerungen darf ein Anwalt fordern? wieviele fadenscheinige Fragen dürfen gestellt werden? wieviele Unterstellungen darf ein Anwalt aufstellen? warum gibt es keinen Zwang zum direkten Gespräch bei einem Schlichter oder Ombudsmann? Wieviele Richterwechsel sind zumutbar? Wann spricht ein Richter? Wann spricht ein Richter Recht? Wann schaltet sich ein Richter ein ins Zeit schinden? Wann weißt ein Richter einen Anwalt in seine Schranken? Wann endlich fordert ein Richter Antwort auf seine eigenen Fragen? Wann?

Die letzte Aufstellung des Gerichts ist ein ernsthafter Versuch etwas Recht und Gerechtigkeit walten zu lassen. Warum siehst du das nicht?

P.s. Rechne nicht mit meiner Schwäche? Du könntest dich verrechnen.

 

Urlaub mit R.

B.J.
Netzwerker
28. Oktober 2015

.
… Von der Unfähigkeit im Allgemeinen und Speziellen?

Es erscheint so einfach, jetzt wo all das wie geschnitten Brot läuft, was über ein halbes Menschenleben lang so mühsam, um nicht zu sagen ermüdend und frustrierend verlief. In der Retrospektive unserer kurzen und doch so intensiven Zeit, frage ich mich, warum es früher oft so schwer fiel, sich so zu geben und zu verhalten, wie es dem eigenen Naturell entspricht. Es schleicht sich hier der Verdacht ein, – der natürlich absurd ist – , dass man sich selber verstellte, ein Bein quasi stellte, sich gar absichtlich außerhalb der eigene Emotionen begab, nur um nicht zum Kern der Sache, zum eigenen ICH vorzudringen. In Wahrheit doch war da immer ein Block, ein Bollwerk aus Angst zu versagen, aus Angst wieder nicht zu genügen, nicht nur dem anderen, nein auch sich selbst. Es macht mich beinahe rasend zu begreifen, jetzt mit 60 Jahren zu begreifen, zu sehen, wie vernagelt ich war, wie vernagelt die Situationen, die in Summe sich immer mehr zu einem Gebirge aus Frust auftürmten.

Die eigene Sprachlosigkeit erscheint mir wesentlich zu sein für manches dieser frustrierenden Erlebnisse im Verlauf meiner Jugend. Da war der Urlaub mit R., eine rastlose Fahrt im R4 durch Südfrankreich. Liebe im Zelt und unter freiem Himmel hätte es werden können. Wir waren jung und unabhängig, zwar nicht besonders verliebt in einander, aber bereit für den anderen im speziellen, das andere Geschlecht im Allgemeinen. Wir starteten ohne irgendeinen Ballast aus der gemeinsamen Vorvergangenheit. Wir hatten uns schon einige Male am Rande dörflicher Partys getroffen, geknutscht, gefummelt, aber zu mehr war es nie gekommenen. Und nun hatten wir drei Wochen Zeit, uns auszuprobieren. Hätten Zeit und Gelegenheit gehabt , wäre es besser zu sagen. Ich war unter der warmen Sonne der Camargue nicht in der Lage, locker mit R. zu flirten, ihr Komplimente zu machen, mich ihr spielerisch zu nähern. Statt dessen verlief es so, wie bei meinen Eltern in der frühen Zeit des Deutschen Wirtschaftswunders. Also in den späten 1950zigern und den frühen 1960zigern.

Als Kind schlief ich bis zum 10. Lebensjahr im Schlafzimmer meiner Eltern mit. Zwar im eigenen Bett, aber nah genug, um das ein oder andere mal mitzukommen, wie sich mein Vater im dunklen Zimmer unter die Bettdecke meiner Mutter zu schieben versuchte. Er sagte dann so Sachen wie „komm las mich mal“, und meine Mutter wies ihn immer ab, versuchte ihn ganz offensichtlich abzuwimmeln. Nicht ein einziges Mal ist mir so etwas wie lustvolles Bettgeflüster zu Ohren gekommen. Weder von meinem Vater, noch von meiner Mutter, noch von beiden gemeinsam.

So ähnlich war es auch in Südfrankreich mit R. Abends, wenn es dunkel geworden war und schon etwas kühl, schlüpften wir in unserem kleinen Zelt jeweils in den eigenen Schlafsack und dann nach einiger Zeit, versuchte ich stumm (!), mir am oberen Rand des Schlafsack von R. mit den Finger zu schaffen zu machen. Was wollte ich? Vermutlich Körperkontakt. Aber wie sollte das gelingen. Mir fehlte die Sprache, fehlten die Worte, mir fehlte die Erfahrung, mir fehlte das Selbstvertrauen zu mir selbst und zu meinem Körper. Ich fand mich selber nicht sonderlich attraktiv, im Gegenteil, ich schämte mich eher für meinen Körper. Nicht weil er etwa unförmig oder zu dick gewesen wäre, nein hauptsächlich wegen meiner Haut. Ich empfand sie als rau, spröde und schuppig, eben unattraktiv. Meine Annäherung an R. waren, ja wie waren sie eigentlich. Es gelang mir nicht ihren Körper zu erforschen, ihren Hals zu küssen, ihre Schultern zu liebkosen, ihre Brüste in die Hand zu nehmen … ihr Feuchtgebiet zwischen ihren Schenkeln war vermintes Feindesland. War es dort überhaupt feucht? Ich weiß es nicht (mehr). Sie war ebenso stumm wie ich und fummelte ebenso ungeschickt und unerfahren an mir herum. Kurz und gut, wir waren nicht in der Lage uns durch Lachen, Scherzen, ein Glas Wein oder lauschige Musik aus dem Rekorder aus dieser nur denkbar trübsinnigen Stimmung zu befreien. Im Gegenteil: eines nachts war es so weit gekommen, dass sie meinen Schwanz in ihrer Hand hatte und ich sie darauf hin fragte, ob wir es „machen“ sollten und ob sie die Pille nehmen würde. „Nein“, sagte sie, dazu hätte es für sie bisher keine Notwendigkeit gegeben. „Ach so?!?!“, war meine Antwort. Damit war das Thema „Beischlaf“ hinreichend erörtert. Alternativen dazu kannten wir ganz offenbar nicht. Als wenn das nicht schon genug gewesen wäre, musste ich noch eins drauf setzen. Ihr Versuch mich mit der Hand zu „beglücken“, quittierte ich mit der unmöglichen Bemerkung, daß ich das selber besser könne. Augenblicklich bereute ich diesen Satz, aber er war in der Welt, er hing in unserem Zelt wie eine Giftwolke. Ich habe diesen Satz nie vergessen können, aber auch bis heute auch noch mit jemandem darüber gesprochen. Auch nicht mit R. selber. Viele Jahre später traf ich mich noch einmal mit R. in einem Lokal in Frankfurt’s Szeneviertel auf der Berger Straße. Sie lebte seit vielen Jahren allein im Speckgürtel des Rhein-Main Gebietes, ich glaube in Dreieich. Ich arbeitete damals in einem Projekt in Frankfurt und hatte mir für den Abend vorgenommen, mich für diesen einen Satz zu entschuldigen. Aber dazu kam es nicht. Das Klima zwischen uns war an diesem „Wiedersehensabend“ (nach vielleicht 20 Jahren) nicht dazu angetan, mich für meinen ungeheuerlichen Satz zu entschuldigen. Leider.

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Fühl Dich Selbst

B.J.
Netzwerker
19.07.2016

Fühl Dich Selbst
… Songtext von Dopewalka

Schließ‘ die Augen und fühl dich selbst,
nur für einen Moment, du spürst genau was dich trennt,
lass alles los und dann fühl dich selbst,
nur für einen Moment, weil man den Weg dann erkennt,
atme durch und dann fühl dich selbst,
für einen kleinen Moment, du spürst genau was dich hemmt,
mach’s nich für die, mach es führ sich selbst,
nur für einen Moment, weil man den Weg dann erkennt.

Und lass nich einfach nur die Zeit vergeh’n,
denn es gibt so viel mehr zu tun für uns,
als uns nur gegenseitig Energie zu stehl’n,
das was wir suchen ham wir längst in uns.
Komm lass uns hinter die Fassade seh’n,
und vielleicht geh’n wir ein Stück zu zweit,
und lassen einfach alles liegen und alles steh’n,
nur weil’s uns gut tut.

Schließ die Augen und fühl dich selbst,
nur für einen Moment, du spürst genau was dich trennt,
lass alles los und dann fühl dich selbst,
nur für einen Moment, weil man den Weg dann erkennt,
atme durch und dann fühl dich selbst,
für einen kleinen Moment, du spürst genau was dich hemmt,
mach’s nich für die, mach es führ sich selbst,
nur für einen Moment, weil man den Weg dann erkennt.

Ich heb‘ meinen Kopf und will die Zeichen seh’n,
weil sie mit klarem Blick so deutlich sind,
du kannst nicht jeden meiner Schritte versteh’n,
weil ich an mir noch so viel Neues find,
wir ham unendlich viele Meilen zu geh’n,
drum mach’ die Arme auf, lauf einfach los.
Denn es gibt keinen Grund dem zu widersteh’n,
wenn du glaubst, dass es gut ist.

Schließ die Augen und fühl dich selbst,
nur für einen Moment, du spürst genau was dich trennt,
lass alles los und dann fühl dich selbst,
nur für einen Moment, weil man den Weg dann erkennt,
atme durch und dann fühl dich selbst,
für einen kleinen Moment, du spürst genau was dich hemmt,
mach’s nich für die, mach es führ sich selbst,
nur für einen Moment, weil man den Weg dann erkennt.

Angst essen Seele auf…

….. oder vom Unverständnis mancher meiner Zeitgenossen.

B.J.
Netzwerker
30. Juni 2016

Noch hängen 150 mehr oder weniger gleich aussehende dunkelrot bis dunkelbraune Würste auf der Lehmdiele aufgereiht auf Besenstiele über den Kehlbalken und trocknen. Der Raum ist erfüllt von rauchlastigen Düften. Sofort erfasst man diesen Duft, wenn man den Raum betritt und schnuppert in der Luft herum wie ein Hund. Es sind die ersten Salami aus eigener Produktion von meinen Ostfriesischen Milchschafen. Bisher hatte ich nur Lammsalami beim Schlachter meines Vertrauens in kleinen Mengen eingekauft, für mich, meine Familie und meine Freunde und auch ein paar für meine Kollegen und besonders Kolleginnen im Bonner Projekt. Eigene Salami habe ich von meinen Bentheimer Schweinen machen lassen. Sehr lecker, aber etwas zu mächtig und nicht so beliebt beim Alternativen Publikum. Schweinefleisch insgesamt verkauft sich schwer. Ich habe vorläufig die weitere Mast von Schweinen aufgegeben. Es ist schade, denn der Umgang mit den Sauen hat mir und besonders den Kleinen Besuchern immer sehr viel Spaß gemacht. Schweine sind sanft, verspielt, gelehrig, intelligent und sehr sozial. Das Wachstum, das die Benties an den Tag legen ist atemberaubend. Man kann fast zusehen. Und ich habe vieles durch sie gelernt.

Wussten sie, das Schweine nicht nur gern im Sand, in der Erde wühlen, sondern dass sie dabei den Erdboden regelrecht verzehren, wussten Sie das? Nein. Bestimmt nicht. Ich konnte es beobachten. Ihr Areal, dass ich ihnen abgesteckt hatte auf der Weide hinter dem Haus, war, als ich sie als kleine Ferkel bekam, grün bewachsen mit Gras und anderen Pflanzen. Ich hatte es Ihnen gemütlich eingerichtet. Mit mobiler Hütte mit einem Strohlager, einer Suhle mit Lehmwasser, einem Scheuerstein und einer Scheuerbaumscheibe so groß wie ein Wagenrad. Rundum war das Gehege mit Doppellatten begrenzt und es hatte ein Tor zur linken, durch dass ich mit meinem Trecker hinein fahren konnte und ein Tor zum Süden raus, durch welches die Schweinedamen – ich hatte immer nur Sauen – tagsüber in den „Garten“ gehen konnten.

Mit der Zeit wuchsen die „Kleinen“ Schweinchen zu stattlichen Tieren heran und gleichzeitig verwandelte sich ihr Gehege in eine mehr oder weniger wüste Urlandschaft mit Berg und Tal und einem Gemisch aus Grasbüscheln, die sie ausgerissen hatten, Erdhaufen die sie mit ihrer unglaublich starken und geschickten Rüsselschnauze aufgeworfen hatten und jeder Menge Steine, die wie von Geisterhand aus dem Erdreich an die Oberfläche aufstiegen. Anfangs viel es mir gar nicht auf, aber später war es nicht mehr zu übersehen. Die Landschaft wurde von diesen süßen Tieren in ihrer Form und Zusammensetzung verändert und regelrecht einverleibt. Der gedachte Oberflächenspiegel sank unaufhörlich im Vergleich zur angrenzenden Weidefläche. Im Laufe einer Mastperiode um bestimmt 10 cm. Das bedeutet bei einer Fläche von 16×16 Metern, immerhin die erstaunliche Masse von 25 Kubikmeter. Wo war diese Masse geblieben?

Die Zeit der Schweine ist wie gesagt erst einmal zu Ende. Behalten habe ich meine Hühner, meine Ponys, meinen Hund, meine Katzen und meine Schafe. Die Anzahl Schafe, Lämmer und Böcke wechselte im Laufe der Jahre immer wieder. Aber es waren von Anfang an immer nur Ostfriesische Milchschafe gewesen. Ostfriesische Milchschafe gibt es in einer Braunen und einer Weißen Linie. Ich hatte immer braune. Manchmal kommt bei den Lämmern noch etwas von ihren weißen Verwandten in Form einer Blesse, eines hellen Flecks am Ohr oder am Hals durch. Meistens verwächst es sich rasch in den ersten Monaten. Die Schafe waren zu uns auf den Hof gekommen als Nutztiere. Bis dahin hatten wir nur Haustiere, wie Hund und Katze und Pferd, wobei der Begriff Haustier zumindest beim Pferd ein wenig irre führend ist. Unsere Pferde hatten immer auch eine Aufgabe, sie waren also Nutztiere, nur geschlachtet haben wir sie nicht. Bis auf Vidar, unseren alten Isländer. Den haben wir als seine Zeit gekommen war, nicht einschläfern lassen, sondern zum Schlachter gegeben. Grund dafür war die mehrfache Erfahrung mit unsäglichem Leiden beim Einschläfern von Tieren durch den Tierarzt. Diese Spritzen wirkten nicht immer so wie geplant, das Pferd wehrt sich in langen Krämpfen bis es zum Tode kommt. Beim Schlachter ist das anders, wenn es richtig gemacht wird. Bumm …und alles ist vorbei. Wir haben nicht zugesehen, haben uns auch nicht das Fleisch geben lassen. Gegessen habe wir also nicht von diesen Haustieren. Das sollte mit den Schafen anders werden.

Ich bin kein Vegetarier, schon gar kein Veganer, ist bin ein Tierfreund und ein Menschenfreund. Ich glaube an den ewigen Kreislauf von Energie. Aus Staub bist du und zu Staub wird du werden. Energie bist und Energie brauchst du und erzeugst du. Jedes Lebewesen auf der Erde auf seine Weise. Tier und Mensch und Pflanze. Warum essen Vegetarier Pflanzen? Weil sie Energie benötigen, sage ich. Weil Ihnen die Tiere so leid tun, sagen sie. Weil Tiere Augen haben und Pflanzen nicht, weil Blut in Tieren fließt und in Pflanzen nicht, weil Tiere ihnen nicht so nah kommen und Pflanzen schon. Welcher Vegetarier hat jemals zugehört, wenn eine Eiche gefällt wird, wenn eine Esche im Winter fällt, hat jemals beobachtet wieviel Wasser aus dem Schnitt der Motorsäge am Fuß einer Pappel austritt, nahezu fließt? Wenn das Leben nach hundertfünfzig Jahren aus dem Stamm einer Buche weicht?

Die Schafe sollten ein Selbstversuch sein. Würde es gelingen, eine Weile mit ihnen am Hof zu leben, sie zu betreuen, ihnen im Winter Heu in die Raufe zu bringen, ihnen im Sommer das Fell zu scheren, ihnen die Klauen zu schneiden, ihren Gesang zu hören und ihr Gemecker. Die Geburt der Lämmer zu erleben, die ersten Verluste durch Todgeburt, plötzlichem Weidetod. Wie würde sich das alles anfühlen. Und der letzte Schritt. Sie an einem von mir festgelegten Tag auf den Wagen zu verladen, sie zum Schlachter zu fahren, sie abzuladen, sie dem Schlachter zu übergeben und dann am nächsten Tag wieder abzuholen. Ihre toten Körper zu sehen, sie zerlegen zu lassen in Keule, Schulter, Kotelett … Lammkarree, die Innereien wie Herz und Leber und Pansen und Nieren für den Hund mitzunehmen? Wie würde das sein?

Es war einer der ergreifendsten Augenblicke in meinem Leben. Ich habe geweint auf der Fahrt zum Schlachter, habe geweint auf der Fahrt mit dem leeren Hänger zurück nach Hause, habe gezittert als ich am nächsten Tag die Tür zum Schlachtraum öffnete und habe sie – meine Lämmer – mit Ehrfurcht und Andacht wieder nach Hause geholt. Es war in allen Phasen ein guten Gefühl. Ich hatte alles richtig gemacht. Im Leben wie im Tod.

Die ersten Frikadellen waren ein Gedicht. Noch nie zuvor hatte ich so gute Frikadellen gegessen, noch nie zuvor hatte ich Fleisch von eigenen Tieren gegessen. Diese Frikadellen hatte eine Geschichte, eine Geschichte deren Verlauf ich mit gestaltet hatte. Eine Geschichte die noch nicht zu Ende war. Die Energie der Schafe ging auf mich über. Mit jedem Bissen wechselte die unbändige Lebenskraft der Lämmer zu mir herüber. Ein wohliges Gefühl. Nur ein Bruchteil der bisher üblichen Menge Fleisch für eine Mahlzeit war von nun an nötig, um mich für längere Zeit mit Energie zu versorgen. Als später die Schweine die Erde regelrecht aufgefressen haben, war mir bald klar, wo diese Masse, diese Energie aus Mutter Erde war. Sie war Teil der Schweine geworden. Genauso wie in dem Fleisch der Lämmer die Energie von Gras, Kräutern, unzähligen Kleinstlebewesen steckt.

Seit diesen Tagen danke ich bei jeder Mahlzeit den Pflanzen und Tieren, denke an sie und esse seither deutlich weniger Fleisch. Ich achte seither vielmehr auf sinnvolle Kreisläufe. In den Zeiten der Bentheimer Schweine gelang dies nahezu perfekt. Nichts organisches verkam am Hof zu Müll. Was nicht die Schweine frassen, landete auf dem Kompost. Was mir nicht schmeckte bekam der Hund. Die Eierschalen wurden zu Dünger gemahlen, …. Alles fasste ineinander.

Die frischen Salami an der Decke in der Diele schmecken exzellent. Anfang der Woche habe ich ein Dutzend davon eingepackt und mit nach Bonn genommen. Die Kollegen wussten davon und freuten sich schon darauf. Die letzten Salami hatte ich vor Monaten mitgebracht und verkauft. Jetzt war der Appetit auf Nachschub entsprechen groß.

Eine weitere Salami und ein Glas Oliven hatte ich zum Verkosten zusätzlich mitgebracht. Es dauerte nur ein paar Stunden bis alles verputzt war.

„Bist du deine Salami los geworden, fragte Katharina mich als ich am Donnerstag Nachmittag zum Bahnhof aufbrach. Hast du wieder geschächtet. Die armen Zicklein….“

Warum werde ich immer wieder mit dieser Art Mitgefühl konfrontiert. Liegt es in der Natur des Menschen, dass er sich leichter über das Elend von Tieren in Massentierhaltungen beim Gang in die Kantine hinweg zusetzen kann, als sich mit dem Leben und Sterben von artgerecht gehaltenen Tieren und deren Verzehr auseinander zu setzen?

 

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Ins Heim und dann ….

Panne
Geduldsmensch
28. Juni 2016

Ins Heim und dann…
… Allein unter Wölfen?

Lieber Karl Heinz, ich wünsche dir ein frohes neues Jahr und vor allem GESUNDHEIT. Anne erzählte mir, dass du zum Ende des Monats meine Heimunterbringung veranlasst hast. Ich bin sehr verwirrt und der Gedanke daran macht mir sehr viel Angst. Schreien, ich muss schreien, kneifen, festhalten, auf die Hand beissen, denn nur so kann ich noch kommunizieren. Anne versucht mich, eigentlich wie immer, so gut es geht, zu beruhigen. Mir geht es gar nicht gut. Körperlich und geistig baue ich mehr und mehr ab. Es geht zu Ende. Ich beginne meine letzte Wegstrecke…..Angst davor habe ich nicht, denn Anne begleitet mich bis zum letzten Atemzug. Das hat sie mir versprochen. Nun kann SIE ihr Versprechen nicht mehr halten, weil DU es so willst. Glaube mir, ich wäre lieber gesund und würde mir Schuhe und Mantel kaufen. Nein, ich muss Geld ausgeben für Windeln, Pflege, Essen – ausschließlich. So hab ich mir meine letzten Jahre auch nicht vorgestellt. Die körperliche Kraft lässt immer mehr nach. Leider kann ich kaum noch laufen, meine Muskelkraft nicht angemessen einsetzten. Oft wirke ich sehr aggressiv auf andere. Das tut mir leid, aber ich verstehe und fühle noch so viel, aber Worte formulieren kann ich nicht. Anne weiss und spürt das. Veränderungen kann ich nicht so gut einschätzen auch das macht mir Angst. Und ich kann meine Wünsche nicht äußern. Alltägliche Dinge sind wie Rätsel raten…..Anne versteht mich. Auch wenn ich nachts schreie. Sie fragt nach, bietet mir zu trinken an, wechselt die nasse Windel, gibt mir zu Essen und singt mir etwas vor. Bettet mich um und massiert meine schmerzenden Muskeln. Sie hat eine unglaublich Geduld mit mir. Nichts wird ihr zu viel.

Was ich besonders toll finde, ich darf so sein wie ich bin. Sie schüttet mich nicht voll Medikamente. Die Krankheit nimmt mein ICH und mein SEIN. Bitte nimm mir nicht die Möglichkeit in Würde und Frieden meinen letzten Weg zu gehen. Wer ist bei mir, wenn du mich wegbringen lässt.Wer gibt mir zu essen und zu trinken. Wer geht mit mir spazieren. Wer bewegt mich mehrmals am Tage durch. In dem Heim bin ich ganz allein …

Leben am Rand… … Gehört der Rand zum Loch?

B.J.
Netzwerker
28. Juni 2016

Leben am Rand…
… Gehört der Rand zum Loch?

Leben am Rand! Gestern kam die Nachricht vom Tod von Götz George, wie immer überraschend und ohne Vorwarnung. Passt eigentlich ganz gut zu Schimmy. Ich war gerade auf dem Flughafen von Denia als die Nachricht über den Ticker des Flughafencafe lief und ich mich dabei erwischte, wie ich diese Zeilen bereits schrieb, obwohl ich sie erst jetzt auf dem Weg nach Bonn in die Softwaretastatur takkere. Hast du, lieber Leser, den Fehler bemerkt, beim Lesen, jetzt wo du vielleicht auch im Zug sitzt und etwas müde und gelangweilt dich durch diese Zeilen quälst? Nein! Schade. Ich werde dir helfen. Der Flughafen von Denia liegt eigentlich in Alicante/Spanien, am Mittelmeer und dort spricht man spanisch und dort denkt man spanisch und kennt man nur spanische Grössen des Showbiz, und keinesfalls Schimanski aus dem Ruhrpott, aus Bochum oder war es Essen oder Duisburg. Auf jeden Fall kennt man dort am Rande des Festlandes, wo es nur ein paar Schritte weit ist bis man im Meer versinkt, keinen Schimanski und deshalb tickert auch die Nachricht vom Tode desselben über keinen Bildschirm in keinem Café an keinem Flughafen von Denia. Aber es passte so schön. Denia liegt am Rande, andere nennen es Küste, dort wo das Land aufhört und das unendliche Wasser beginnt. Denia liegt da schön und beschaulich. Nichts deutet auf etwas Bedrohliches hin. Die Touristen sind wieder in Scharen in der Stadt, sehen gut aus, lassen es sich gut ergehen in den Straßen der Altstadt, auf der Marques de Campo, im Hafenviertel oder in einer der zahllosen Restaurants oder Bars an der Marina. Das Meer plätschert leise ans Ufer, an vielen Stellen schon fast müde. Müde von der Last der vielen Toten, die nicht nur über den Rand des Fernseher tickern, sondern ganz real in eben diesem Meer seit Jahren den Weg vom elenden Leben zum noch elenderen Tod durch Ertrinken finden. Wie lange braucht ein Tropfen Wasser von der Ägäis, von Lampedusa, von der Türkischen Küste bin nach Denia? Eine Woche, einen Monat, ein Jahr oder noch viel länger? Berührt mich beim Baden in den seichten Fluten vor Els Publets der gleiche Tropfen Wassers, der die Haut von einem der vielen toten Kinder berührte als sie verzweifelt nach Luft rangen, um irgendwo im haltlosen Meer Halt zu finden? Es berührt mich der Gedanke, eine Träne rinnt über meine Wangen und tropft auf die Tastatur, vermischt sich mit der Oberfläche des iPad, dringt ein in das Netz, das Netz das die Welt umspannt und alle erreicht. Nur manche eben zu spät.

Im Flieger sitzt neben mir ein dicker spanischer Junge, der sich vollstopft mit allerlei Unsinnigem zumeist Süsskram. Seine Finger sind dicklich, feist, sein Bauch ist dicklich feist, sein Gesicht ist dicklich feist. Er braucht diese Art Futter, um genau diesen feisten Körper feist zu erhalten und noch feister werden zu lassen. Da hilft auch sein sportlicher Ehrgeiz nicht, mit den Fingern auf seinem Smartphone King of Colorchange zu werden. Weiß er etwas von dem, was unter ihm täglich, stündlich, minütlich in den Wellen des Mittelmeeren passiert? Kommt Achmet aus Aleppo in seinen Gedanken vor, kommt Geishe aus dem fernen Afganistan vor im Unterricht seiner Lehrerin aus Santander, spielt das wahre Leben hinein in seine digitale Welt aus hüpfenden farbigen Dreiecken, die er geschickt vor sich hertreibt? Berührt ihn irgendwo am Rande seines Denkens der Tropfen Wasser, der Ben die Luft zum Atmen raubt?

Am Rande des Fluges fragt sich der Junge neben mir, wie es wohl im Spiel Spanien gegen Italien steht. Es ärgert ihn, dass der Billigflieger kein WLAN zur Verfügung stellt, das Zugang zum Netz, das alle und alles erreicht, ermöglicht und ?

Am Rande?! Gehört der Rand zum Loch?

Drei Stunden später lande ich, landen wir im Hamburg. Es regnet. Es ist kalt. Die neuen Schuhe drohen nass zu werden. Das hatte ich vermeiden wollen. Die Schuhe sind aus Denia, ein Geschenk von Anne. Sehr bequeme Schuhe und sehr schick obendrein. Made in India steht drauf. Ein kleiner Junge, eher hager von Gestalt, hat sie hergestellt in einer Fabrik, die für Adidas und Puma und Nike und so produziert. Am Rande einer Millionenstadt, deren Namen wir hier in Denia oder Hanburg nicht kennen. Das Abwasser der Fabrik läuft ungeklärt in den Fluss der ungeklärt ins Meer mündet. Wie lange braucht ein Tropfen Wasser vom indischen Ozean ins Mittelmeer? Wir lange dauert es, bis sich die Gedanken vermischen, bis die Zusammenhänge sich vermischen um dadurch klarer zu werden, bis das iPad Made in China eine Verbindung knüpft über das Netz der Netze mit Allepo, mit denen die noch dort sind, mit denen die gegangen sind, mit denen, die in Barchel in kleinen Gruppen durch die dörfliche Idylle schlendern und so fremd aussehen?

Von Hamburg Flughafen muss ich unbedingt ganz schnell mit der S-Bahn über Hauptbahnhof nach Buxtehude kommen, um noch den letzten Zug nach Bremervörde zu erwischen. Ich erwische ihn. Gegen 22 Uhr erreiche ich Bremervörde und verlasse als letzter und einziger Fahrgast am Bahnhof Bremervörde die Bahn. Ich bin angekommen am Rande. Am Rande des Nahverkehrsnetzes, am Rande des Teufelsmoores, am Rande der Zivilisation. Es regnet. Wann kommt der Tropfen an, am Rande der Zivilisation? Wann steht uns das Wasser bis zum Halse?

Gehört der Rand zum Loch? Wir graut vor dem nächsten Winter, einem Winter in dem viele Lindenbäume am Rande der Bahnhofstraße ihr Leben verlieren sollen, ……… weil sie Laub abwerfen!!!

Gewalt kurz nach sechs …

B.J.
Netzwerker
28. Juni 2016

… Cappuccino brutale?

Hiermit gebe ich folgendes zu Protokoll:

„Am heutigen Montag den 25.01.2016 betrat ich wie immer gegen 6:15 morgens im Bahnhof Bremen das dort ansässige Café „Segafredo“ und bestellte wie immer in den letzten Wochen ein Croissant mit einem laktosefreien Großen Cappuccino. Das Bestellte wurde mir auf den Tresen gestellt gleichzeitig mit der Aufforderung zu bezahlen, was ich mit einem irritierten Blick auch tat. Der Inhaber versuchte seine Aufforderung „sofort zu zahlen“  mit einem nicht nachvollziehbaren Argument zu erklären oder zu rechtfertigen. Ich zahlte und nahm den ersten Bissen von meinem Croissant und den ersten Schluck aus meiner Tasse Cappuccino.

Da ich wohl immer noch etwas irritiert drein schaute, fragte der Inhaber, schon ziemlich giftig, ob etwas nicht stimme. Ich entgegnete, dass ich es nicht gewohnt sei, vor dem Verzehr abkassiert zu werden, es wäre ja schließlich keine ToGo-Bestellung. Daraufhin fauchte er gallig, er sei der Chef und könne DAS machen wie ER es wolle und das sei im übrigen schon IMMER SO gewesen. Dies bestritt ich mit BesserWissen und dem Argument, dass ich schon über zehn Jahre hier her käme und das es bisher nie so gewesen sei. Er keifte etwas unverständliches und sprang unvermittelt zu mir an den Tresen, packte mich an meinem Jackenkragen und meinem Schal, zog mich mit aller Kraft über die Tresenkante und beschimpfte mich. Dabei fielen Teller und Tasse vom Tresen herab und landeten krachend in der Spüle. Dies machte den Wirt noch ungehaltener und er beschimpfte mich mit unflätigen Worten, zog noch fester an meinem Schal, dass es mich würgte und die Nähte meiner Jacke zu reißen begannen. Um die Sache zu de-eskalieren, versuchte ich den Wirt mit Worten zu beruhigen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit ließ er von mir ab und versuchte sofort Stimmung gegen mich unter den Anwesenden zu machen.

Er sprang hinter dem Tresen hervor und rief lautstark nach zwei Ordnungskräften der Bahn, die dann auch kamen und ihrerseits die Polizei riefen. Der Wirt wollte, dass ich seinen Tresen von den Kaffeespritzern reinigen sollte. Er versuchte auch sofort die beiden Ordnungskräfte für sich zu vereinnahmen, gestikulierend verwies er auf die Kaffeespritzer auf seinen Utensilien hinter dem Tresen. Die eintreffenden Polizisten befragten mich, den Wirt und die andere Gäste. Da ich zum Zug musste verzichtete ich auf die sofortige Erstattung einer Strafanzeige noch vor Ort. Ich verweise auf die gleichen Zeugen, die auch von den Polizisten befragt wurden.

Ich stelle hiermit Strafanzeige wegen Körperverletzung und Angriff auf die eigene Person
Gez. Bernhard J.“

Ende des Protokolls.

Diesen Text schrieb ich zunächst als Gedächtnisstütze für eine eventuelle Anzeige oder Vernehmung gleich im Anschluss an diese gewaltsame Szene. Alles hatte sich genau so zugetragen an diesem kalten Morgen auf meiner Fahrt vom Teufelsmoor zum Rheinland in die ehemalige Hauptstadt. Nur ein paar Details waren vielleicht etwas anders gewesen.

Ich hatte mich schon mehrfach über diesen arroganten MöchteGernBarrista hinter dem Tresen des Sagafredo geärgert. Er verbreitete mit seiner künstlichen, um nicht zu sagen grundlosen Hektik, die er Montag für Montag in seinem Café veranstaltete, eine Ungemütlichkeit, die noch nicht einmal von den kalten Temperaturen, die in seinem Laden morgens herrschten übertroffen wurde.

Warum in aller Welt ist es mir nicht vergönnt, morgens ein, zwei Tassen Kaffee zu trinken und ein, zwei Croissant zu essen, je nach Lust und Laune, und dann, wie es seit hunderten von Jahren in allen Gasthäusern dieser Welt und natürlich auch in allen italienischen Kaffeebars von Venedig bis Palermo so praktiziert wird, mein Portemonnaie zu zücken und die Zeche zu begleichen. Statt dessen quakt mich dieser MöchteGernBarrista von der Seite an, als hätte ich diese Unkultur des ToGo übernommen und mir meinen Espresso Macciato in einem Pappbecher geben lassen. Habe ich aber nicht, werde ich auch nicht, solange es Kaffeehäuser gibt, die wissen, dass sie ein Genusstempel sind und kein Schnellimbiss. Jedenfalls hatte ich diesen dahergelaufenen MöchteGernBarrista mit Migrationshintergrund schon seit längerem gefressen und kehrte nur aus Mangel an Alternativen auf dem Hauptbahnhof immer wieder dorthin zurück. Der Cappuccino, der Espresso bei Sagafredo schmeckt mir seit vielen Jahren auf den Bahnhöfen dieser Welt gut, zumindest in Frankfurt, Hamburg, Berlin und eben auch in Bremen. An diesem Morgen kam etwas in mir hoch, was ich so von mir gar nicht kenne. Ich wollte diese Missachtung menschlicher Kultur, menschlicher Zivilisation einfach nicht hinnehmen und still ertragen. Etwas musste geschehen. Es war ein Reflex, eine Überschlagshandlung, es kam aus dem Rückenmark direkt in meine Arme, meine Hände, genauer den linken Arm und die linke Hand. Aus dem Handgelenk heraus ging die Hand aus ihrer entspannten Grundhaltung ohne Umschweife über in eine schnelle, sehr schnelle stoßartige Vorwärtsbewegung, die den Teller mit dem Croissant und die Tasse samt Untertasse und Inhalt auf eine Geschwindigkeit beschleunigte, die allen Beteiligten gar keine andere Wahl ließ als ihren bisherigen Platz auf dem Tresen, zunächst mit einem kurzen Flug und dann mit einer krachenden Landung im Waschbecken zu verlassen. Ringsum sah ich in verdutzte Gesichter, die nicht wirklich sagten: seht her, ich hab es genau gesehen!

Leben im Netz ….

B.J.
Netzwerker
4. April 2016

Leben im Netz…
… oder ein Leben ohne Netz

Ein Leben ohne Netz ist denkbar, aber sinnlos. In Anlehnung an Loriots viel zitiertem Ausspruch beginne ich den heutigen Montag ohne Netz. Freiwillig? Nein ganz und gar nicht. Vorausgegangen ist eine noch andauernde Auseinandersetzung mit 2×4, einem bekannten Deutschen Internetprovider und Telekomanbieter. Es begann mit einer harmlosen Werbemail einer Tochterunternehmung von 2×4, der ebenfalls bekannten WAB.de. Ein verlockendes Angebot exklusiv nur für mich und nur bis zum Monatsende …. Wir kennen diese Art Mail alle (zu Genüge). Da hab ich dann mal geklickt und versucht, die Details zu ergründen. … Am Ende hatte ich telefonisch einen Tarifwechsel beauftragt, der sich schon fünf Minuten später, als die Bestätigungsmail kam, als absolute Niete herausstellte. Nicht nur das. Der clevere Verkäufer hatte mich mit Falschaussagen und Halbwahrheiten in sein Netz gelockt …. Da saß ich nun und es begann eine Vertreibung aus dem Paradies, meine Vertreibung. Nicht sofort und nicht so unmissverständlich wie damals bei Adam und Eva, aber nicht weniger systematisch. Mein sofortiger Anruf bei 2×4 und der Versuch die ganze Sache schlicht und ergreifend zu stornieren scheiterte daran, dass die Stornoabteilung nicht besetzt sei …. Aber nach den Feiertagen ( es war Ostern) würde man mir helfen.

Vier Uhr zehn… Der Wecker ist pünktlich, wie immer an den Montagen, an denen ich in die Ehemalige Hauptstadt fahre, um die Brötchen zu verdienen, die man bekanntlich zum Leben braucht, wie das Netz, an das wir glauben und in dem wir uns wie selbstverständlich bewegen. Noch vor dem nächtlichen oder morgendlichen Toilettengang, die diesmal beide genau zusammenfielen, was mir sehr recht war, nahm ich mein iPad vom Nachttisch und schlug EINSTELLUNGEN auf …. Netz war da. Hatten sie es also doch nicht gewagt …. Sekunden später wechselte die Anzeige auf „kein Netz“. Also doch. Diese Schwe…

Aber ist ja nur halb so schlimm. Hier zu Hause in meinen vier Wänden hab ICH doch die Oberhoheit. MEIN LAN bzw MEIN WLAN funktionieren doch ohne Netz von 2×4…..oder etwa nicht? Leise Zweifel kamen auf. Gibt es da vielleicht einen Zusammenhang zwischen SIM und WLAN und Fritzbox und 2×4. neeeiiiin gibt es nicht. Zumindest bei mir zu Hause nicht. Also schrieb ich wie gewohnt nach der erstes Tasse Kaffee und einem Brötchen, nein es war ein Vollkornbrot, die Brötchen wollte ich erst noch verdienen heute in der ExHauptStadt am Rhein, meiner Frau einen morgendlichen Gruß in die Tasten und schickte ihn per WhatsApp durch das Netz, das die Welt umspannt, zu ihr auf den Nachttisch, der circa 2000km entfernt an der CostaBlanca steht. Normalerweise hoffte ich dann immer darauf, dass nicht gleich die beiden blauen Häkchen erscheinen, die signalisieren, dass sie wach geworden und auch schon um 4:39 bereit ist, ihrerseits liebste Grüße und Küsse durch das gleiche Netz zu schicken, das die Welt umgarnt. Sie sollte lieber noch etwas weiter schlafen. Aber heute wartete ich auf die beiden Blauen Brüder, so als Zeichen meiner Macht über das Netz oder wenigstens einen Teil davon. Die Brüder blieben grau.

Die Fahrt durch die Nacht, die mir diesmal wieder viel dunkler vor kam als am letzten Montag, würde auch ohne Netz reibungslos ablaufen, da ich die Strecke gut, um nicht zu sagen sehr gut kenne. Es begann zu regnen. Ich schaltete die Scheibenwischer ein und freute mich darüber, dass ich nichts hörte, nichts außer dem nassen Sound der Reifen und die morgendlichen Songs meines Lieblingssender, hatte ich doch vor einigen Wochen das Gestänge meiner Scheibenwischeranlage von Hans austauschen lassen. Wie viele Jahre hatte ich das extrem unangenehme Knallen der Wischer ertragen, das bei jedem Zyklus von links nach rechts und zurück von rechts nach links meine Ohren quälte und mich jedesmal dazu verleitete, die Wischer entweder gar nicht, erst sehr spät, wenn ich schon nichts mehr sehen konnte, oder wenigstens in der Intervall Stellung einzuschalten, nur um dieses ewige Knallen der Wischerblätter auf dem Rand der Windschutzscheibe links oder der Wischerparkstellung unten nicht so oft hören zu müssen. Die 157 Euro, die die Reparatur gekostet hatte, waren Cent für Cent sehr gut angelegt. Lautlos gleiten nun die Blätter, die im übrigen auch neu sind und über 40€ gekosten haben, über die Windschutzscheibe, hinterlassen, wie Hans es nennt, ein „ordentliches Wischerbild“ und arbeiten in allen Stellungen vorzüglich. Das Auto ist dadurch fast wie neu, obwohl es schon 18 Jahre alt und bald 400000 km gelaufen ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Das Gestänge war ausgeschlagen, zuerst nur etwas, kaum bemerkbar, nicht immer zu hören, irgendwie auch abhängig von Grad des Regenschauer, vom Grad der Verschmutzung der Scheibe. Aber mit der Zeit wurde es lauter, regelmäßiger, eben verlässlich. Das Knallen gehörte dazu. Und da ich das Auto nicht allzu oft fuhr, ertrug ich es. Vielleicht war ich auch zu geizig. Wer wusste schon wie aufwendig die Reparatur sein würde. Jetzt freute ich mich fast schon, als es zu regnen begann, an diesem Montag Morgen gegen fünf in der Früh. Und jetzt fiel es mir auch ein, warum es so finster war heute morgen. Die gottverdammte Zeitumstellung am vergangenen Samstag war Schuld daran. Genauso sinnlos, wie das jahrelange Knallen der Wischer, ertragen wir alle diese Prozedur zweimal im Jahr. Kaum einer mag sie, viele verwünschen sie, aber alle ertragen sie. Die Zeitumstellung.

Kurz nach fünf erreiche ich den Hauptbahnhof in Bremen. Ich kaufe mir ein Brötchen mit Ei und Käse beim Bäcker am Westausgang, dem Ausgang zum Bremer Freimarkt, und einen Becher frischen Saft am anderen Ende der Unterführung, am eigentlichen Haupteingang des Bahnhof. Das Bild hat sich hier nach meinem Empfinden wieder normalisiert. Einige Montage lang waren mir die vielen fremd aussehenden Menschen ins Auge gefallen. Es hatte mich an meine Zeit in Frankfurt erinnert, wo einem auf der Zeil immer, zu jeder Zeit Menschen aus aller Herren Länder mit den unterschiedlichsten Hautfarben, Sprachen und Kleidungsstilen begegneten. Hier in Bremen fiel mir auf, daß alle immer und ständig im Netz unterwegs waren. Dieses weltumspannende Netz war den vielen Flüchtlingen sicher eine große Hilfe, den Kontakt untereinander und mit Freunden und der eigenen Familien zu halten. Meine de-aktivierte SIM-Karte bekam sofort eine andere Bedeutung. Wäre ich auf der Flucht und hätte mir 2×4 den Weg aus dem Netz gewiesen, hätte es die Trennung von meiner Frau, meinem Kind, meinen Freunden, meinem Schlepper, meinem Leben bedeuten können.

„Notruf möglich“ steht unten auf dem Display meines Smartphone. Also bin ich doch im Netz, sonst ginge auch kein Notruf. Wenn ich doch im Netz bin, bin ich auch ortbar, ortbar für die anderen. Sie verfolgen meine Wege, wenn sie wollen, sperren mich aber aus von der Nutzung des Netzes. Und das obwohl ich einen Vertrag habe, meine Rechnungen immer bezahle, seit 20 Jahren die gleiche Mobilfunknummer besitze, immer im Besten Netz zu Hause war. Sie wollen mich aus meinem Paradies vertreiben, aus dem Paradies in das sie mich vor Jahren gelockt hatten. Freephone. Und da ich ein eher treuer Zeitgenosse bin, bin ich immer noch Freephone-Kunde. Inzwischen gibt es diesem Vertrag nicht mehr im Angebot der 2×4 AG. Im Gegenteil. Schon seit längerem spüre ich, wie sie immer wieder versuchen, mich zum Vertragswechsel zu animieren. Erfolglos bisher. Jetzt haben sie es mit üblen Tricks versucht. Halbwahrheiten und Fehlinformationen. Das BESTE NETZ darf es nicht mehr sein. „E“ wie Ersatz heißt es jetzt. Bei mir zuhause auf dem Lande ist selbst das BESTE NETZ nicht überall zu finden, aber das „E“rsatzNETZ geht gar nicht.

Ich schreibe diese Zeilen auf meinem iPad, offline versteht sich, und bin von der Qualität des Programms und besonders von der Soft Tastatur begeistert. Manche Funktion muss ich mir noch erarbeiten, aber dafür gibt es ja Hilfe. Allerdings stoße ich hier schnell an die Grenzen. Weitergehende Information zur Verwendung des Programms bekomme ich nur, wenn ich eine Online-Verbindung habe. Also doch. Ohne Netz nur ein halber Mann. Wie schon erwähnt steht der Nachttisch meiner Frau in Spanien und da liegt es nahe, spanisch zu lernen. Babble lautet das Zauberwort. Spanisch für Anfänger und Fortgeschrittene. Ein OnlineKurs im günstigen 6-Monatsabo. Ich melde mich an und seit dem übe ich mich in spanischer Konversation. Die Software gefällt mir. Ich bin motiviert und mache Fortschritte. Über Ostern bin in auf dem Campo in Denia unterwegs und versuche mich mit den ersten Bestellungen von Cortado und Tostada con tomate. 20 Lektionen umfasst der erste Kurs, dazu eine Reihe Wiederholungen und spezieller Übungen. Am Ende jeder Lektion wird die nächste, folgende herunter geladen. Online eben. Meine zweite SIM-Karte im iPad bewährt sich vorzüglich. Ich bin überrascht wie zügig auch im ICE das Nachladen über Mobile Daten flutscht. Nur heute nicht. Kein Netz. Kein Fortschritt. Das kommt mir spanisch vor.