Leben am Rand… … Gehört der Rand zum Loch?

B.J.
Netzwerker
28. Juni 2016

Leben am Rand…
… Gehört der Rand zum Loch?

Leben am Rand! Gestern kam die Nachricht vom Tod von Götz George, wie immer überraschend und ohne Vorwarnung. Passt eigentlich ganz gut zu Schimmy. Ich war gerade auf dem Flughafen von Denia als die Nachricht über den Ticker des Flughafencafe lief und ich mich dabei erwischte, wie ich diese Zeilen bereits schrieb, obwohl ich sie erst jetzt auf dem Weg nach Bonn in die Softwaretastatur takkere. Hast du, lieber Leser, den Fehler bemerkt, beim Lesen, jetzt wo du vielleicht auch im Zug sitzt und etwas müde und gelangweilt dich durch diese Zeilen quälst? Nein! Schade. Ich werde dir helfen. Der Flughafen von Denia liegt eigentlich in Alicante/Spanien, am Mittelmeer und dort spricht man spanisch und dort denkt man spanisch und kennt man nur spanische Grössen des Showbiz, und keinesfalls Schimanski aus dem Ruhrpott, aus Bochum oder war es Essen oder Duisburg. Auf jeden Fall kennt man dort am Rande des Festlandes, wo es nur ein paar Schritte weit ist bis man im Meer versinkt, keinen Schimanski und deshalb tickert auch die Nachricht vom Tode desselben über keinen Bildschirm in keinem Café an keinem Flughafen von Denia. Aber es passte so schön. Denia liegt am Rande, andere nennen es Küste, dort wo das Land aufhört und das unendliche Wasser beginnt. Denia liegt da schön und beschaulich. Nichts deutet auf etwas Bedrohliches hin. Die Touristen sind wieder in Scharen in der Stadt, sehen gut aus, lassen es sich gut ergehen in den Straßen der Altstadt, auf der Marques de Campo, im Hafenviertel oder in einer der zahllosen Restaurants oder Bars an der Marina. Das Meer plätschert leise ans Ufer, an vielen Stellen schon fast müde. Müde von der Last der vielen Toten, die nicht nur über den Rand des Fernseher tickern, sondern ganz real in eben diesem Meer seit Jahren den Weg vom elenden Leben zum noch elenderen Tod durch Ertrinken finden. Wie lange braucht ein Tropfen Wasser von der Ägäis, von Lampedusa, von der Türkischen Küste bin nach Denia? Eine Woche, einen Monat, ein Jahr oder noch viel länger? Berührt mich beim Baden in den seichten Fluten vor Els Publets der gleiche Tropfen Wassers, der die Haut von einem der vielen toten Kinder berührte als sie verzweifelt nach Luft rangen, um irgendwo im haltlosen Meer Halt zu finden? Es berührt mich der Gedanke, eine Träne rinnt über meine Wangen und tropft auf die Tastatur, vermischt sich mit der Oberfläche des iPad, dringt ein in das Netz, das Netz das die Welt umspannt und alle erreicht. Nur manche eben zu spät.

Im Flieger sitzt neben mir ein dicker spanischer Junge, der sich vollstopft mit allerlei Unsinnigem zumeist Süsskram. Seine Finger sind dicklich, feist, sein Bauch ist dicklich feist, sein Gesicht ist dicklich feist. Er braucht diese Art Futter, um genau diesen feisten Körper feist zu erhalten und noch feister werden zu lassen. Da hilft auch sein sportlicher Ehrgeiz nicht, mit den Fingern auf seinem Smartphone King of Colorchange zu werden. Weiß er etwas von dem, was unter ihm täglich, stündlich, minütlich in den Wellen des Mittelmeeren passiert? Kommt Achmet aus Aleppo in seinen Gedanken vor, kommt Geishe aus dem fernen Afganistan vor im Unterricht seiner Lehrerin aus Santander, spielt das wahre Leben hinein in seine digitale Welt aus hüpfenden farbigen Dreiecken, die er geschickt vor sich hertreibt? Berührt ihn irgendwo am Rande seines Denkens der Tropfen Wasser, der Ben die Luft zum Atmen raubt?

Am Rande des Fluges fragt sich der Junge neben mir, wie es wohl im Spiel Spanien gegen Italien steht. Es ärgert ihn, dass der Billigflieger kein WLAN zur Verfügung stellt, das Zugang zum Netz, das alle und alles erreicht, ermöglicht und ?

Am Rande?! Gehört der Rand zum Loch?

Drei Stunden später lande ich, landen wir im Hamburg. Es regnet. Es ist kalt. Die neuen Schuhe drohen nass zu werden. Das hatte ich vermeiden wollen. Die Schuhe sind aus Denia, ein Geschenk von Anne. Sehr bequeme Schuhe und sehr schick obendrein. Made in India steht drauf. Ein kleiner Junge, eher hager von Gestalt, hat sie hergestellt in einer Fabrik, die für Adidas und Puma und Nike und so produziert. Am Rande einer Millionenstadt, deren Namen wir hier in Denia oder Hanburg nicht kennen. Das Abwasser der Fabrik läuft ungeklärt in den Fluss der ungeklärt ins Meer mündet. Wie lange braucht ein Tropfen Wasser vom indischen Ozean ins Mittelmeer? Wir lange dauert es, bis sich die Gedanken vermischen, bis die Zusammenhänge sich vermischen um dadurch klarer zu werden, bis das iPad Made in China eine Verbindung knüpft über das Netz der Netze mit Allepo, mit denen die noch dort sind, mit denen die gegangen sind, mit denen, die in Barchel in kleinen Gruppen durch die dörfliche Idylle schlendern und so fremd aussehen?

Von Hamburg Flughafen muss ich unbedingt ganz schnell mit der S-Bahn über Hauptbahnhof nach Buxtehude kommen, um noch den letzten Zug nach Bremervörde zu erwischen. Ich erwische ihn. Gegen 22 Uhr erreiche ich Bremervörde und verlasse als letzter und einziger Fahrgast am Bahnhof Bremervörde die Bahn. Ich bin angekommen am Rande. Am Rande des Nahverkehrsnetzes, am Rande des Teufelsmoores, am Rande der Zivilisation. Es regnet. Wann kommt der Tropfen an, am Rande der Zivilisation? Wann steht uns das Wasser bis zum Halse?

Gehört der Rand zum Loch? Wir graut vor dem nächsten Winter, einem Winter in dem viele Lindenbäume am Rande der Bahnhofstraße ihr Leben verlieren sollen, ……… weil sie Laub abwerfen!!!

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