Angst essen Seele auf…

….. oder vom Unverständnis mancher meiner Zeitgenossen.

B.J.
Netzwerker
30. Juni 2016

Noch hängen 150 mehr oder weniger gleich aussehende dunkelrot bis dunkelbraune Würste auf der Lehmdiele aufgereiht auf Besenstiele über den Kehlbalken und trocknen. Der Raum ist erfüllt von rauchlastigen Düften. Sofort erfasst man diesen Duft, wenn man den Raum betritt und schnuppert in der Luft herum wie ein Hund. Es sind die ersten Salami aus eigener Produktion von meinen Ostfriesischen Milchschafen. Bisher hatte ich nur Lammsalami beim Schlachter meines Vertrauens in kleinen Mengen eingekauft, für mich, meine Familie und meine Freunde und auch ein paar für meine Kollegen und besonders Kolleginnen im Bonner Projekt. Eigene Salami habe ich von meinen Bentheimer Schweinen machen lassen. Sehr lecker, aber etwas zu mächtig und nicht so beliebt beim Alternativen Publikum. Schweinefleisch insgesamt verkauft sich schwer. Ich habe vorläufig die weitere Mast von Schweinen aufgegeben. Es ist schade, denn der Umgang mit den Sauen hat mir und besonders den Kleinen Besuchern immer sehr viel Spaß gemacht. Schweine sind sanft, verspielt, gelehrig, intelligent und sehr sozial. Das Wachstum, das die Benties an den Tag legen ist atemberaubend. Man kann fast zusehen. Und ich habe vieles durch sie gelernt.

Wussten sie, das Schweine nicht nur gern im Sand, in der Erde wühlen, sondern dass sie dabei den Erdboden regelrecht verzehren, wussten Sie das? Nein. Bestimmt nicht. Ich konnte es beobachten. Ihr Areal, dass ich ihnen abgesteckt hatte auf der Weide hinter dem Haus, war, als ich sie als kleine Ferkel bekam, grün bewachsen mit Gras und anderen Pflanzen. Ich hatte es Ihnen gemütlich eingerichtet. Mit mobiler Hütte mit einem Strohlager, einer Suhle mit Lehmwasser, einem Scheuerstein und einer Scheuerbaumscheibe so groß wie ein Wagenrad. Rundum war das Gehege mit Doppellatten begrenzt und es hatte ein Tor zur linken, durch dass ich mit meinem Trecker hinein fahren konnte und ein Tor zum Süden raus, durch welches die Schweinedamen – ich hatte immer nur Sauen – tagsüber in den „Garten“ gehen konnten.

Mit der Zeit wuchsen die „Kleinen“ Schweinchen zu stattlichen Tieren heran und gleichzeitig verwandelte sich ihr Gehege in eine mehr oder weniger wüste Urlandschaft mit Berg und Tal und einem Gemisch aus Grasbüscheln, die sie ausgerissen hatten, Erdhaufen die sie mit ihrer unglaublich starken und geschickten Rüsselschnauze aufgeworfen hatten und jeder Menge Steine, die wie von Geisterhand aus dem Erdreich an die Oberfläche aufstiegen. Anfangs viel es mir gar nicht auf, aber später war es nicht mehr zu übersehen. Die Landschaft wurde von diesen süßen Tieren in ihrer Form und Zusammensetzung verändert und regelrecht einverleibt. Der gedachte Oberflächenspiegel sank unaufhörlich im Vergleich zur angrenzenden Weidefläche. Im Laufe einer Mastperiode um bestimmt 10 cm. Das bedeutet bei einer Fläche von 16×16 Metern, immerhin die erstaunliche Masse von 25 Kubikmeter. Wo war diese Masse geblieben?

Die Zeit der Schweine ist wie gesagt erst einmal zu Ende. Behalten habe ich meine Hühner, meine Ponys, meinen Hund, meine Katzen und meine Schafe. Die Anzahl Schafe, Lämmer und Böcke wechselte im Laufe der Jahre immer wieder. Aber es waren von Anfang an immer nur Ostfriesische Milchschafe gewesen. Ostfriesische Milchschafe gibt es in einer Braunen und einer Weißen Linie. Ich hatte immer braune. Manchmal kommt bei den Lämmern noch etwas von ihren weißen Verwandten in Form einer Blesse, eines hellen Flecks am Ohr oder am Hals durch. Meistens verwächst es sich rasch in den ersten Monaten. Die Schafe waren zu uns auf den Hof gekommen als Nutztiere. Bis dahin hatten wir nur Haustiere, wie Hund und Katze und Pferd, wobei der Begriff Haustier zumindest beim Pferd ein wenig irre führend ist. Unsere Pferde hatten immer auch eine Aufgabe, sie waren also Nutztiere, nur geschlachtet haben wir sie nicht. Bis auf Vidar, unseren alten Isländer. Den haben wir als seine Zeit gekommen war, nicht einschläfern lassen, sondern zum Schlachter gegeben. Grund dafür war die mehrfache Erfahrung mit unsäglichem Leiden beim Einschläfern von Tieren durch den Tierarzt. Diese Spritzen wirkten nicht immer so wie geplant, das Pferd wehrt sich in langen Krämpfen bis es zum Tode kommt. Beim Schlachter ist das anders, wenn es richtig gemacht wird. Bumm …und alles ist vorbei. Wir haben nicht zugesehen, haben uns auch nicht das Fleisch geben lassen. Gegessen habe wir also nicht von diesen Haustieren. Das sollte mit den Schafen anders werden.

Ich bin kein Vegetarier, schon gar kein Veganer, ist bin ein Tierfreund und ein Menschenfreund. Ich glaube an den ewigen Kreislauf von Energie. Aus Staub bist du und zu Staub wird du werden. Energie bist und Energie brauchst du und erzeugst du. Jedes Lebewesen auf der Erde auf seine Weise. Tier und Mensch und Pflanze. Warum essen Vegetarier Pflanzen? Weil sie Energie benötigen, sage ich. Weil Ihnen die Tiere so leid tun, sagen sie. Weil Tiere Augen haben und Pflanzen nicht, weil Blut in Tieren fließt und in Pflanzen nicht, weil Tiere ihnen nicht so nah kommen und Pflanzen schon. Welcher Vegetarier hat jemals zugehört, wenn eine Eiche gefällt wird, wenn eine Esche im Winter fällt, hat jemals beobachtet wieviel Wasser aus dem Schnitt der Motorsäge am Fuß einer Pappel austritt, nahezu fließt? Wenn das Leben nach hundertfünfzig Jahren aus dem Stamm einer Buche weicht?

Die Schafe sollten ein Selbstversuch sein. Würde es gelingen, eine Weile mit ihnen am Hof zu leben, sie zu betreuen, ihnen im Winter Heu in die Raufe zu bringen, ihnen im Sommer das Fell zu scheren, ihnen die Klauen zu schneiden, ihren Gesang zu hören und ihr Gemecker. Die Geburt der Lämmer zu erleben, die ersten Verluste durch Todgeburt, plötzlichem Weidetod. Wie würde sich das alles anfühlen. Und der letzte Schritt. Sie an einem von mir festgelegten Tag auf den Wagen zu verladen, sie zum Schlachter zu fahren, sie abzuladen, sie dem Schlachter zu übergeben und dann am nächsten Tag wieder abzuholen. Ihre toten Körper zu sehen, sie zerlegen zu lassen in Keule, Schulter, Kotelett … Lammkarree, die Innereien wie Herz und Leber und Pansen und Nieren für den Hund mitzunehmen? Wie würde das sein?

Es war einer der ergreifendsten Augenblicke in meinem Leben. Ich habe geweint auf der Fahrt zum Schlachter, habe geweint auf der Fahrt mit dem leeren Hänger zurück nach Hause, habe gezittert als ich am nächsten Tag die Tür zum Schlachtraum öffnete und habe sie – meine Lämmer – mit Ehrfurcht und Andacht wieder nach Hause geholt. Es war in allen Phasen ein guten Gefühl. Ich hatte alles richtig gemacht. Im Leben wie im Tod.

Die ersten Frikadellen waren ein Gedicht. Noch nie zuvor hatte ich so gute Frikadellen gegessen, noch nie zuvor hatte ich Fleisch von eigenen Tieren gegessen. Diese Frikadellen hatte eine Geschichte, eine Geschichte deren Verlauf ich mit gestaltet hatte. Eine Geschichte die noch nicht zu Ende war. Die Energie der Schafe ging auf mich über. Mit jedem Bissen wechselte die unbändige Lebenskraft der Lämmer zu mir herüber. Ein wohliges Gefühl. Nur ein Bruchteil der bisher üblichen Menge Fleisch für eine Mahlzeit war von nun an nötig, um mich für längere Zeit mit Energie zu versorgen. Als später die Schweine die Erde regelrecht aufgefressen haben, war mir bald klar, wo diese Masse, diese Energie aus Mutter Erde war. Sie war Teil der Schweine geworden. Genauso wie in dem Fleisch der Lämmer die Energie von Gras, Kräutern, unzähligen Kleinstlebewesen steckt.

Seit diesen Tagen danke ich bei jeder Mahlzeit den Pflanzen und Tieren, denke an sie und esse seither deutlich weniger Fleisch. Ich achte seither vielmehr auf sinnvolle Kreisläufe. In den Zeiten der Bentheimer Schweine gelang dies nahezu perfekt. Nichts organisches verkam am Hof zu Müll. Was nicht die Schweine frassen, landete auf dem Kompost. Was mir nicht schmeckte bekam der Hund. Die Eierschalen wurden zu Dünger gemahlen, …. Alles fasste ineinander.

Die frischen Salami an der Decke in der Diele schmecken exzellent. Anfang der Woche habe ich ein Dutzend davon eingepackt und mit nach Bonn genommen. Die Kollegen wussten davon und freuten sich schon darauf. Die letzten Salami hatte ich vor Monaten mitgebracht und verkauft. Jetzt war der Appetit auf Nachschub entsprechen groß.

Eine weitere Salami und ein Glas Oliven hatte ich zum Verkosten zusätzlich mitgebracht. Es dauerte nur ein paar Stunden bis alles verputzt war.

„Bist du deine Salami los geworden, fragte Katharina mich als ich am Donnerstag Nachmittag zum Bahnhof aufbrach. Hast du wieder geschächtet. Die armen Zicklein….“

Warum werde ich immer wieder mit dieser Art Mitgefühl konfrontiert. Liegt es in der Natur des Menschen, dass er sich leichter über das Elend von Tieren in Massentierhaltungen beim Gang in die Kantine hinweg zusetzen kann, als sich mit dem Leben und Sterben von artgerecht gehaltenen Tieren und deren Verzehr auseinander zu setzen?

 

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